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"Das sind alles keine Zufälle"

IMAGO, Christian Schroedter, Gedenken vor der Magdeburger Frauenkirche

Verdrängung führt zu Versagen: Der Anschlag von Aschaffenburg

Es reicht, es reicht, es reicht. Wieviel eigentlich noch? Mannheim, Solingen, Magdeburg, Aschaffenburg: Was kommt vielleicht als nächstes? Das sind alles keine Zufälle“, sagte Markus Söder nach dem Messerangriff von Aschaffenburg. Oh, wird sich vielleicht mancher Zuhörer gedacht haben, doch Markus Söder setzte fort: „ , sondern die Folge einer Kette einer falschen jahrelangen Migrationspolitik.“

Ich möchte es einfach.

Ja, das wäre schön.

Aber die Zeit dafür ist vorbei. Sie kommt auch nicht wieder.

Die These, es wären keine Zufälle, soll aufgegriffen werden, doch zunächst sollen die Granden der anderen Parteien zu Wort kommen. Bundeskanzler Olaf Scholz erklärt,

„Das kann so nicht weitergehen. Wir müssen alles dafür tun, dass sich solche Dinge nicht wiederholen.“ Man hätte viel getan, aber es gibt ein Vollzugsdefizit. Es gibt offensichtlich Vollzugsdefizite – insbesondere in diesem Fall bei den bayrischen Behörden.“

Robert Habeck meint, die Aufklärung müsse konsequent und selbstkritisch in den Behörden vorgenommen werden, um zu lernen, wie man das verhindern kann und verweist auf Fehler in Bayern und im Bundesinnenministerium. Auch er spricht von einem Muster.

„Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass diese Reihe von Mordtaten – Mannheim, Solingen, Magdeburg, jetzt Aschaffenburg – scheinbar jedenfalls eine Parallele aufweisen und es muss gefragt werden, ob daraus nicht ein Muster abgeleitet werden kann, was die Betreuung von gewalttätigen, vielleicht psychisch labilen jungen Männern angeht. Schaffen das die Kommunen, ist es im Vollzug überhaupt möglich, solchen Hinweisen nachzugehen? ... Einige Vorschläge, die ich von Friedrich Merz jetzt höre, waren immer wieder in der Debatte und haben der sachliche Prüfung nicht standgehalten.“

Auch Christian Lindner meldet sich zu Wort:

Wir haben ein veritables Staatsversagen in Deutschland. Denn Aschaffenburg ist kein Einzelfall. Es gibt so ein Muster aus Herkunft, Auffälligkeit, Ausreiseverpflichtung“.

Er wäre schon bei der Einwanderungspolitik von Angela Merkel kritisch gewesen. Man hätte dann als FDP in der Ampel das in der Macht stehende getan, um zur Rechtsstaatlichkeit zurückzukehren. In der Ampel hätte man viel gerungen und manches erreicht, aber es war meistens nicht mit, sondern gegen Grüne und SPD. Es muss eine Zäsur geben. Es ginge ihm um eine andere Einwanderungspolitik. Mit Grünen und SPD in der Regierung wäre das nicht möglich und er versteigt sich zu der These:

„Wer die AfD wählt, macht die Wahrscheinlichkeit größer, dass SPD und Grüne in der nächsten Regierung sind und verhindert damit, was eigentlich notwendig ist in der Einwanderungspolitik.“

Friedrich Merz gibt den Bundeskanzler:

„Ich weigere mich anzuerkennen, dass die Taten von Mannheim, Solingen, Magdeburg und jetzt Aschaffenburg die neue Normalität in Deutschland sein sollen. Das Maß ist endgültig voll. Wir stehen vor dem Scherbenhaufen einer inzwischen seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik. Es ergeben sich aus meiner Sicht nun endgültig einige Schlussfolgerungen, die eine von mir geführte Bundesregierung sofort zu ergreifen hat.“ 

Er ist sicher am substanziellsten bei der Frage, welche Konsequenzen aus der Tat zu ziehen sind. Zu den Maßnahmen gehören ein „faktisches Einreiseverbot“ für Asylsuchende – ausdrücklich auch für Personen mit Schutzanspruch. Die europäischen Regeln – Dublin, Schengen, Eurodac – wären erkennbar dysfunktional. Deutschland müsse von seinem Recht auf Vorrang des nationalen Rechts Gebrauch machen. Die Bundespolizei müssen Haftbefehle beantragen können. Er fordert Ausreisezentren und Abschiebungen müssten täglich erfolgen. Außerdem müsse das Aufenthaltsrecht geändert werde, so dass jeder Ausreispflichtiger und Gefährder sofort und zeitlich unbefristet in Arrest genommen werden kann, bis die Ausreise erfolgt.

In dem Bemühen, die Kompetenz zur Führung durch Sprache, Gestik und Inhalte entschieden zu vermitteln, fehlt ihm dann – man sollte es zumindest annehmen – die Rechenkapazität, um auf eine Frage von Welt TV, ob seine erklärten Absichten die endgültige Absage an eine Koalition mit den Grünen wären, in einer Weise zu antworten, die darauf schließen lässt, dass ihm bewusst ist, was er da mit Inbrunst zum Ausdruck bringt:

„Mir ist es völlig gleichgültig, wer diesen Weg politisch mitgeht. Ich sage nur, ich gehe keinen anderen. Und wer ihn mit mir gehen will, muss sich nach diesen fünf Punkten richten. Kompromiss sind zu diesen fünf Themen nicht mehr möglich.“

Offensichtlich hat Alice Weidel ihm genau zugehört, denn sie reagiert wenige Stunden später auf X mit einem offenen Brief an ihn. Nachdem sie bei ihm eine ähnliche Lagebeurteilung der Terrorakte wie bei der AfD konstatiert, erkennt sie auch ähnliche Vorstellungen bei der Lösung der Probleme und leitet daraus einen Vorschlag ab:

“Ein noch besseres Zeichen ist, dass Sie sich offenkundig dringend gebotene Lösungsvorschläge meiner Fraktion, der Alternative für Deutschland, zur Herbeiführung eines migrationspolitischen Kurswechsels zu eigen gemacht haben: lückenlose strenge Grenzkontrollen und ausnahmslose Zurückweisungen illegaler Migranten, substanzielle Abschiebungen und Rückführungen in Verantwortung des Bundes, zusätzliche Kompetenzen für die Bundespolizei und für unbedingten Abschiebegewahrsam. ...

In staatspolitischer Verantwortung appelliere ich daher an Sie: Lassen Sie uns ohne weiteres Zögern die erforderlichen Beschlüsse fassen, um in die Tat umzusetzen, was die Bürger jetzt mit Recht von der Politik erwarten. Die kommende Sitzungswoche im Deutschen Bundestag bietet dafür eine Gelegenheit, die nicht ungenutzt verstreichen darf. Die Mehrheiten dafür sind vorhanden. Zu einem koordinierenden Gespräch stehen meine Fraktion und ich Ihnen jederzeit zur Verfügung“ 

Abschließend freut sie sich noch auf das TV-Gespräch mit ihm.

Auch Sahra Wagenknecht meldet sich zu Wort.

„Also ich frage mich, was noch geschehen muss, ehe die Politik begreift, dass wir so nicht weitermachen können. ... Die Politik geht ja immer wieder zur Tagesordnung über. Erst sagen alle, sie sind entsetzt, dann kommt ein anderes Thema. ...

Und wir müssen auch unsere Bevölkerung schützen vor Menschen, die unser Asylrecht missbrauchen. Und deshalb finde ich zwei Maßnahmen wären überdringlich: Das eine ist, dass ein Gewaltdelikt zum Abbruch des Asylverfahrens führt und zur sofortigen Ausweisung und zur Abschiebung und das zweite, nur noch denen ein Asylrecht gewähren, die nicht aus einem sicheren Drittstaat einreisen. Mir müssen die Zahlen reduzieren, weil wir das einfach nicht mehr in den Griff bekommen.“

Sie fände es schlimm, dass man das Thema der AfD überlässt, die auch Stimmung gegen gut integrierte Zuwanderer machen würde. Ebenso schlimm findet sie es, wenn tatsächlich das Klima so vergiftet wird, dass man zu einer generellen Ausländerfeindlichkeit kommt. Passend dazu formuliert sie:

„Es braucht einen Flüchtlingsstopp, weil schon Elfjährige mit dem Messer rumlaufen.“

Schaut man sich all die Stellungnahmen an, so folgt dem Entsetzen über die Tat keine tiefere Ursachenforschung und niemand kann es sich verkneifen, die politischen Gegner anzugreifen und Schuldzuweisungen zu streuen. Insbesondere mangelt es aber allen Beiträgen an einer substanziellen Auseinandersetzung mit der Häufung der Terrorakte seit Mai vergangenen Jahres und einer tieferen Auseinandersetzung mit den Ursachen der auf Deutschland wirkenden Flüchtlingsströme. Das aber erscheint notwendig, will man die Probleme tatsächlich nachhaltig in den Griff bekommen.

Wir beschäftigen uns mit Singularitäten

ohne Blick auf die zu bewältigende Komplexität.

Wir beschäftigen uns mit Komplexität

ohne Blick auf die zu bewältigenden Singularitäten.

Das Bundesamt für Verfassungsschutz listet für 2020 zwei Anschläge (1 Toter, 7 Verletzte), für 2021 einen Anschlag (3 Verletzte), für 2022 keinen Anschlag und für 2023 einen Anschlag auf (1 Toter, 4 Verletzte). Seit dem Anschlag in Mannheim am 31. Mai vergangenen Jahres, am 23. August in Solingen, am 20. Dezember in Magdeburg und nun in Aschaffenburg sind es innerhalb von acht Monaten 12 Tote und 316 Verletzte. Ist es nicht erforderlich, sich zu fragen, womit sich diese Häufung von Terrorakten erklären lässt? Macht es Sinn, sich zu fragen, ob es einen Bezug zur bevorstehenden Bundestagswahl gibt – und zu berücksichtigen, dass das Ende der Ampel schon für den Herbst vergangenen Jahres möglich erschien (1, 2, 3, 4)?

Fakt ist, dass die Asylpolitik in den nächsten Wochen die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und schon in der nächsten Woche im Deutschen Bundestag einen Höhepunkt erleben wird. Im gleißenden Licht dessen werden andere Themen in den Hintergrund rücken: Themen, die den Wähler durchaus interessieren sollten. So kommt man zu der Frage, wie all die schönen Dinge finanziert werden sollen, mit denen die Parteien die Wähler ködern wollen: Angesichts der Kosten für den Krieg in der Ukraine, der beständig hohen Energiekosten in Deutschland, des zunehmenden Wegzugs von Unternehmen in die USA, zunehmender Insolvenzen und absehbar wachsender Arbeitslosenzahlen, russophober und zunehmend sinophober Außenpolitik sowie weiterwachsendem Druck der USA auf Deutschland, die Rüstungsausgaben auf 5% des BIP zu erhöhen und noch mehr teures LNG zu beziehen. Was war da auch gleich noch mal mit dem TAURUS, den Friedrich Merz, Robert Habeck und Christian Lindner so gern der Ukraine zur Verfügung stellen wollen: Kann sich das auf die Wohltaten auswirken, die den Wählern versprochen werden? Wahrscheinlich wird auch nicht groß auffallen, dass es den Beteiligten doch noch irgendwie gelingt, den Bundeskanzler zu bekehren, drei Milliarden für die Ukraine locker zu machen.

Und dann muss man sich noch fragen, wie es eigentlich zu dem ganzen Problem kam. Wenn Friedrich Merz Angela Merkel en passant mit „dem Scherbenhaufen einer inzwischen seit zehn Jahren fehlgeleiteten Asyl- und Einwanderungspolitik“ abwatscht, muss man sich fragen, ob deren Wir schaffen das am 31. August 2015 Schuld an der Misere einer Migrationspolitik ist, die in Zeiten der Großen Koalition aus CDU/CSU und SPD zur Blüte reifte. Entstand die Welt erst 2015 oder gab es auch eine Zeit davor, die darauf Einfluss nahm? Das dem evtl. so war, kann man aus einem Interview im Deutschlandfunk vom 24. August mit der Innenpolitikerin der SPD, Carmen Wegge, vermuten, die auf die Frage, warum die Flüchtlinge nach Deutschland kämen, entwaffnend naiv meinte:

Na, weil sie verfolgt werden oder weil Krieg in dem Land ist, und deswegen machen sie sich auf den Weg auf die Flucht.

Ein vertiefendes Nachfragen blieb aus. Folgt man jedoch der ketzerischen Annahme einer Zeit davor weiter, so stellt man fest, dass die Herkunftsländer, aus denen die Flüchtlinge primär kommen, seltsamerweise korrelieren mit Staaten, in denen die USA und mit ihr insbesondere auch Deutschland bemüht waren, für Freiheit und Demokratie zu sorgen und die dabei verursachte Anzahl an Toten und Verwundeten mit der Zahl der Flüchtlinge nicht unbedeutend mithalten kann: In Afghanistan, im Irak und in Syrien.

Die Folgekosten dieser Abenteuer musste und muss insbesondere Deutschland tragen. Zwischen 2016 und 2024 betrugen die Kosten des Bundes für Flüchtlinge und Asyl ca. 218 Milliarden Euro und sie werden für die nächsten vier Jahre bis 2028 auf weitere 96 Milliarden Euro geschätzt (1, 2). Hinzu kommet, was die Bundesländer ausgeben mussten: Zwischen 2017 und 2023 ca. 37 Milliarden Euro (1). Im Jahr 2024 waren es knapp 30 Milliarden Euro. Doch damit nicht genug: Darin sind die Kosten für die 1,2 Millionen Flüchtlinge aus der Ukraine – mancher spricht von den Folgen eines Krieges der USA gegen Russland und meint sogar, es wäre ein Krieg gegen Deutschland – nicht enthalten, da diese kein reguläres Asylverfahren durchlaufen: 2024 lagen sie bis zum 31. Oktober bei 35 Milliarden Euro (1, BIP 2023 bei 4.185,6 Milliarden Euro).

Sei mutig: Analysiere heute und gestalte das Morgen-

am besten so, dass es auch dem Übermorgen dient.

Sonst wirst du schon morgen mit den Folgen dessen leben müssen,

wessen du dich heute nicht zugewandt hast.

So, wie es dir schon heute ergeht.

Warum ist es wichtig, diese beiden Aspekte zu berücksichtigen? Es wird weitere Anschläge geben, wenn es nicht gelingt, zu einem Klimawandel zu kommen. Zu dieser bedeutenden Veränderung gehört sicher, ein Verständnis dafür zu entwickeln, dass es sich bei den Flüchtlingen um Menschen handelt, die aus legitimen Eigeninteressen nach Deutschland gekommen sind und oft feststellen müssen, dass es sich dabei nicht um das gelobte Land handelt – womit nicht ein Gutmenschentum gemeint ist, wie es gerade in der achtteiligen ARD-Serie „A better Place“ seziert wird, die sicher auf Grund des Anschlags von Aschaffenburg nach den ersten zwei Teilen aus dem Haupt- in das Nachtprogramm verlegt wurde und dort am 24. August ab 22.20 Uhr mit den restlichen sechs Teilen lief.

Aspekt des Klimawandels ist auch die umfassende Einbeziehung von Fragen der inneren Sicherheit: Man muss zur Lage vor der Lage vordringen und von dort aus Problemlösungsprozesse initiieren. Weiterhin bedarf es einer Außenpolitik, die den Leidensdruck auf die deutschen Grenzen abbaut und mit den Herkunftsländern eine Politik betreibt, die eine Rückkehr attraktiv macht.

Daher soll zum Schluss noch einmal Markus Söder zu Wort kommen: „Es ist überfällig, dass sich in Deutschland etwas ändert.“ Er hat recht.




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